Was ist nur mit dieser Frau los ?

 Sie spricht, Sie spricht tatsächlich mit dem Publikum, wirft Kusshändchen um sich, echot ''ich liebe dich'' zurück als Sie eine junge Mann ''I love you'' entgegenschmettert. Kaum zu glauben, wenn man an die Shows denkt, bei denen Stella stocksteif hinter dem Mikrofon stand und am Ende mit einem unverbindlichen Winken von der Bühne ging.

Heute jedenfalls ist Sie anders. Vielleicht hat das mit dem neuen Stella zu tun, der nicht mehr die großen Probleme dieser Welt lösen möchte. Der lieber von der Liebe erzählt. Vielleicht hat Sie ihre damalige shows zu denken gegeben, wo Sie zu lange mit Neuem herumexperimentiert hätte. Stimmung wollte nicht so recht aufkommen, die Fans waren kaum zufrieden.

Jetzt ist Stella ganz und gar präsent, nicht wie so oft abwesend versunken in sich selbst. Sie lässt ihre Yoga-gestählten Muskeln spielen innerhalb die meist sexy Kleidung, Sie nimmt einen Schluck von dem Zeug, das aussieht wie eine in Wasser aufgelöste Vitamin-C-Tablette - ist es wahrscheinlich auch, schließlich hat Sie sich so erkältet, dass Sie das Show beinahe absagen musste. Gut, dass Sie es nicht getan hat. Der charismatische Mensch aus Holland ist gut gelaunt, geradezu ausgelassen. Sie wechselt permanent das Tempo, springt von einer Ecke der Bühne zur anderen, beugt sich hinunter zu den Fans, die sich zu ihren Füßen drängen.

Perfekt sind die Übergänge, ihre schöne Stimme erfüllt die Halle, die für ihre Akkustik nicht eben berühmt ist. Aber Stella lässt das vergessen. Gleißendes Scheinwerferlicht schwenkt über das Publikum hinweg. Dann bricht Dunkelheit herein:  auf der Bühne lodern Feuer, sie wird zur Oase der Entrücktheit.

Nach eine halbe stunde braucht Sie einen Schluck von ihrem Kraft-Trunk. Vom Anheulen des Mondes ist Sie die Kehle trocken geworden. Stella macht keine Pause, lässt die Fans nicht warten, die Stimmung nicht unnötig abkühlen. 

Nach eineinhalb Stunden verlässt Stella mit begleitung im Gänsemarsch die Bühne. ''Aber das ist doch nicht ihre Ernst?'' Nein, junger Mann, ist es nicht. Stella nimmt die mikrofon und sagt und spielt zerbrechlich die letzte vier minuten, wie der Mensch nun einmal ist. Wunderkerzen sprühen Sterne in die Dunkelheit. Stella legt die Handflächen aneinander, verbeugt sich vor dem Jubel und entschwindet.

Liebesgrüsse 

Natürlich haben auch Jungakademiker, Erfolgsmenschen, Kosmopoliten, Anspruchsvolle, Singles, Midlife-Krisenopfer, natürlich hat auch die vielbeschworenen neue Mitte ein Recht auf gute Unterhaltung. Dafür ist im Zweifelsfall Stella zuständig. Sie garantiert seit mehr als zwei Jahren Qualität und Geschmack, political correctness und Herzensbildung. Sie ist ein Frau in den besten Jahren, Sie lässt gern ihre Muskeln spielen im hervorragende sexy kleidung, aber Sie verwechselt Gefühl nicht mit Sentimentalität und sorgt nicht für Aufruhr, sondern höchstens für ein ziemliches Verkehrschaos - wenn sie vorbei fahrt.

Ein Teil von Stellas Erfolg rührt wohl daher, dass sich auch im Zeitalter von e-mail und sms (short message system) viele insgeheim nach post mit Liebesgrüßen sehnen. Will heißen, Romantik statt Elektronik. Wie sonst soll man den kollektiven Hilfeschrei bei ihrem Dauerbrenner show verstehen? Der Star Stella steht allein auf der Bühne, begleitet vom gewaltigen Chor der 7,500 begeisterten Besucher. Aber da neigt sich ihre Show schon dem Ende entgegen und die Stimmung dem Höhepunkt.

Zuvor hat Stella ihren guten Ruf wieder einmal bestätigt. Gerade von einer Grippe genesen, die Sie zu einer Tourneeunterbrechung zwang, präsentiert Sie sich wortkarg, aber spielfreudig. Rolle vor und zurück, ihre hervorragende aktuelle show ist brandneu, was kein Nachteil sein muss. Die grosse Überraschung ist Stellas begleitung und die complementaire auftritt von Iryna, leider nur fünf minuten, zusammen meisteren Sie den Slalom zwischen den Stilen souverän. Zweifellos ist das die vielseitigste Stella, den es je gab.